"Am Thema Tragen scheiden sich die Geister. Schafft das nicht ein orthopädisches Doppelproblem – schlecht für den Rücken des Kindes, und schlecht für den Rücken des Erwachsenen? Und wie sieht es mit der psychischen Entwicklung aus – ist die mit dem Tragen verbundene Nähe nicht vielleicht ein Hemmschuh?"Ein Beitrag von Herbert Renz-Polster
"Anders als das abgelegte und abgeschirmte Kind im Wagen nimmt das getragene Kind teil an den Gesprächen und Begegnungen seiner Mutter. Sein Blick wandert von den Gesichtern der anderen zu ihrem, es erkennt und versteht ihre Blicke und Stimmen, hört zu und gehört dazu, von Anfang an. Es sieht die Welt so, wie seine Mutter sie sieht, und es fürchtet nichts, denn es wird an alles herangetragen, nicht geschoben und geschubst. So wächst es auf, mit allen Dingen verbunden und vertraut."
Leila Kais (2013). Entbinden und Verbinden.
Mollenberg bei Lindau: Edition Philosophie im Elfenbeinturm
Schon vor 18 Jahren stand es in der Zeitung:
(Freie Presse vom 24./25.Mai 1997)
(AKR) Eigentlich sind die menschlichen Nachkommen „Traglinge“, weinen deshalb beim Hinlegen oder Aufwachen, weil sie sich allein fühlen. Aber die Erwachsenen können nur sehr schwer die manchmal unersättlich erscheinenden Bedürfnisse eines Babys befriedigen, wenn sie keine geeignete Tragehilfe haben. In einer solchen Tragehilfe kann das Baby dann die Welt aus der Perspektive der Mutter erkennen, seine Haut wird massiert und dadurch die gesamte Organentwicklung stimuliert. Das Aufstoßen und die Verdauung funktionieren besser. Die schaukelnde Bewegung der Mutter beim Laufen prägt sich dem kindlichen Gehirn ein und bereitet es auf das Laufen lernen vor. Da das Kind die Bewegungsrichtung der Mutter bei der Hausarbeit oft durch entgegen gesetzte Bewegung ausgleichen muss, werden Gleichgewichtssinn geschult und Muskeln gut ausgebildet. Schließlich sind Bewegungszentrum im Gehirn und Sprachzentrum miteinander gekoppelt, so dass das Kind Vorteile beim Sprechen lernen hat. In den Straßen ist die Konzentration von Abgasen in Höhe des mütterlichen Rückens oder der Hüfte weitaus geringer als in Höhe des Kinderwagens- ein weiterer wichtiger Grund, den Wagen auf dem Balkon oder im Garten stehen zu lasen. Und wie bequem ist das Bus- fahren mit dem Kind auf dem Bauch, statt den Kinderwagen bugsieren zu müssen. Allerdings gibt es nur wenige Arten geeigneter Tragehilfen. Vom gesundheitlichen Standpunkt aus werden Trageweisen empfohlen, die die natürliche Anhock-Spreiz-Haltung ermöglichen, die jedes Baby annimmt, wenn man es hochhebt. In genau dieser Haltung passt es auf die Hüfte, wodurch natürlich und körperlich arbeitende (Natur-)Völker ihre Kinder vor der Hüftluxation schützen. Diese Bedingungen erfüllen diagonal verziehbare (elastische) Tragetücher mit den entsprechenden Bindeweisen, die ausführlich u. a. in den Stillgruppen erklärt und geübt werden. Im Handel in allen Varianten erhältliche Tragetaschen und Tragebeutel sind meist nur für die Bauchtrageweise vorgesehen und nur für kurze Zeit. Meist ist der Steg zwischen den Beinen nicht breit genug, oder das Kind wird beim Tragen zu sehr ins Hohlkreuz gezogen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Träger am Rücken der Tragehilfe ansetzen und das Kind zum Träger herangezogen wird. Der geeignete Tragesack, der von Geburt an zwei bis drei Jahre verwendet werden kann, wird in den Stillgruppen ebenfalls vorgeführt.
Anja Manns & Anne Chr. Schrader: “Ins Leben tragen“. Beiträge zur Enthnomedizin. Hrsg. C. E. Gottschalk-Baschkus & J. Schuler. VWB 1995.
Liedloff, Jean: „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“. Gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit. Beck’sche Reihe, 2009.
Kirkilionis, E. „Ein Baby will getragen sein. Alles über geeignete Tragehilfen und die Vorteile des Tragens“. Kösel 1999.
Regina Hilsberg: Körpergefühl, Rowohlt 1985
Wenn dem Baby durch die Erfahrung des Getragenwerdens alle damit verbundene Sicherheit und Anregung in vollem Maße zuteil geworden sind, kann es sich dem kommenden, dem Draußen, der Welt jenseits der Mutter, freudig zuwenden, voller Selbstvertrauen und gewöhnt an ein Wohlgefühl, das seine Natur aufrechtzuerhalten neigt.
Jean Liedloff
Achten Sie auf eine optimale Tragehilfe und tragen Sie Ihr Kind immer Ihnen zugewandt.