Seit dem 20. Jahrhundert kämpfen Mütter in der westlichen Zivilisation gegeneinander und übertreffen sich mit gegensätzlichen Thesen. Die Gesellschaft zieht mit in den Kampf und spaltet sich in zwei Lager. Die einen treten vermeintlich für Mütter ein, die anderen für das Wohlergehen des Kindes.
Scheinbar vergessen ist, dass es Jahr(hundert)tausende von Jahren lang überhaupt kein Streitthema war: Wenn Mutter sich liebevoll um die Bedürfnisse ihres Babys kümmerte und auf seine Signale achtete und prompt, z.B. mit "Still-Machen" = Stillen reagierte, störte das damals noch kaum jemanden. Trotzdem war es anstrengend und zeitaufwendig, aber die Mutter bekam in größeren Familien auch eher noch Unterstützung und war in der Regel nicht allein in einer kleinen Wohnung.
Als infolge der Industrialisierung immer mehr Mütter außer Haus arbeiten gingen oder in schweren Zeiten nebenher in Haus, Hof und Heimarbeit tätig waren, Tragehilfen aus der Mode kamen, weil sich eine Kinderwagenindustrie entwickelte, wurden ihre Nöte und Überforderung größer und damit die Versuchung, das Weinen des Kindes zumindest eine Weile zu ignorieren und das Verlassenheits -Weinen nicht mehr als solches zu interpretieren. Das schlechte Gewissen wurde immer mehr durch Rationalisierungen betäubt, was schließlich darin gipfelte, Schreien sei gut für die Lungen - die These des Nazi-Ärztin Haarer. Und von da an begann man das Kind als kleinen Tyrannen zu betrachten und den Kampf gegen seine Bedürfnisse zu führen. Das "Sich- Verweigern" wurde rationalisiert. Seine Bedürfnisse sofort zu befriedigen, würde ihn verweichlichen. Harte Männer wurden in der Nazi-Zeit gebraucht, die sich in Wahrheit als geschwächte Untertanen eines perfiden Führers und des damit zusammenhängenden Konzernsystems missbrauchen ließen.
Diese Medienpropaganda blieb sowohl bis in die DDR als auch bis in den heutigen Neoliberalismus -wieder neu entflammt als Maschinerie der Fremdbetreuungsideologie - bestehen. Weinen und Traurigkeit dieser kleinen Hilflosen, die das Wiederkommen der Mütter kognitiv überhaupt noch nicht zeitlich antizipieren können, muss man heute noch stärker verdrängen.
Ja, es tut sehr weh, sich den Kummer der Jüngsten zu vergegenwärtigen, rührt dieser doch an den eigenen Kummer vieler Mütter, auf deren Schreien eben auch schon nicht reagiert wurde, als sie im Alter ihres Kindes waren. Dies bezeichnen Traumapsychotherapeuten als "triggern". Das wollen sehr viele Eltern vermeiden, sie wollen selbst nie wieder so schwach und hilflos werden, wie damals, als sie sich nicht wehren konnten. Sie stehen kurz davor, mitzuweinen, können nicht trösten, da sie sich in solch einem Moment nicht mehr erwachsen fühlen. Als Gegenwehr gegen diese starken Gefühle entsteht unbewusst der Mechanismus des Rationalisierens, dass das Kind nur "seinen Willen durchsetzen" oder "die Eltern austesten" will. Und danach kommt die Wut auf das Kind. Diese wiederum erzeugt Schuldgefühle, dann ein Wertlosigkeitsgefühl, das eigene Kind nicht richtig lieben zu können. Damit sind wir heute am erschreckend häufigen Problem der postpartalen Störungen mit den zunehmenden Ängsten und Depressionen nach der Geburt angekommen. In Wahrheit ist es eine tief sitzende Angst vor Abhängigkeit, die damals ein Gefühl des "Ausgeliefert-Seins" in der eigenen Kindheit gewesen war: in einer biologisch bedingten Abhängigkeit und Unreife angewiesen auf liebevolle Betreuung gewesen zu sein, diese jedoch nicht bekommen zu haben, statt dessen aber ausgeliefert an Ängste und Einsamkeit.
Das Babyschreien kündigt eine Wiederholung dieser Abhängigkeit an und muss deshalb abgewehrt werden.
Ich möchte nun darauf verweisen, das sich fast parallel mit den Anti-Baby-Theorien in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Bindungswissenschaft entwickelte, die gleichsam als Mahner anthropologischer Wahrheiten und genetischer Gegebenheiten der menschlichen Entwicklung die Lehre von der sicheren Mutter-Kind-Bindung wissenschaftlich begründete und damit evolutionäre und artgerechte Weisheiten zementierte.
Die Lösung für heute? Positive Abhängigkeit bringt Freude am Körperkontakt mit dem Baby im Tragetuch und an der Brust, was tatsächlich unabhängig macht! Dass ist nun das nächste Thema! Schauen Sie sich einmal die komplexen Bindungsfaktoren auf dem Weg in eine sichere Mutter-Kind-Bindung ohne größere Probleme bei Eltern und Kind an - unter der Rubrik „Bindung“.
Antje Kräuter